Gekündigt, aber nicht rausgeworfen.

Stellen Sie sich vor: Ein Vermieter kündigt wirksam den Mietvertrag, aber der Mieter muss die Wohnung trotzdem nicht räumen. Klingt paradox? Ist es aber nicht, wie ein aktuelles Urteil des Landgerichts (als Berufungsinstanz) zeigt.

Gekündigt, aber nicht rausgeworfen: Wie § 565 BGB einen Mieter vor der Räumung schützt

Der Fall dreht sich um eine spezielle Konstellation der Untermiete und die Schutzvorschrift des § 565 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

Die Ausgangslage: Firma mietet Wohnung für Mitarbeiterin

Ein Vermieter (hier vertreten durch einen Zwangsverwalter, da das Objekt unter Zwangsverwaltung stand) hatte eine Wohnung an eine Firma vermietet. Die Besonderheit: Laut Vertrag mietete die Firma die Wohnung nicht für eigene Zwecke, sondern ausdrücklich, um sie einer ihrer Arbeitnehmerinnen (Frau V. X.) als Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Dies geschah, um im Wettbewerb um knappe Pflegekräfte attraktiver zu sein – ein klares wirtschaftliches Eigeninteresse der Firma.

Der Zwangsverwalter wollte das Mietverhältnis beenden und klagte vor dem Amtsgericht Velbert auf Räumung. Dieses wies die Klage ab. Der Zwangsverwalter ging in Berufung.

Die Kündigung: Ja, das Haupt-Mietverhältnis ist beendet!

Das Landgericht prüfte zunächst, ob das Mietverhältnis zwischen dem Zwangsverwalter und der Firma überhaupt wirksam beendet wurde.

  1. Außerordentliche Kündigung (fristlos): Nein. Wie schon das Amtsgericht feststellte, konnte der Zwangsverwalter keine ausreichenden Gründe für eine fristlose Kündigung nachweisen.
  2. Ordentliche Kündigung (fristgerecht): Ja! Hier lag der Knackpunkt. Der Zwangsverwalter hatte hilfsweise auch ordentlich gekündigt. Das Gericht stellte fest:
    • Gewerbliches Mietverhältnis: Obwohl die Endnutzerin (die Mitarbeiterin) die Wohnung zu Wohnzwecken nutzte, war das Hauptmietverhältnis zwischen Zwangsverwalter und Firma als gewerblich einzustufen. Entscheidend war der Zweck der Firma: Sie mietete die Wohnung im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit, um Personal zu binden.
    • Wirksame Kündigung: Für gewerbliche Mietverhältnisse gelten andere (oft kürzere) Kündigungsfristen (§ 580a Abs. 2 BGB). Auch ein vertraglich vereinbarter Kündigungsausschluss (hier bis 01.01.2024) hinderte nicht daran, die Kündigung schon vorher auszusprechen – sie wurde dann eben erst zum nächstmöglichen Zeitpunkt nach Ablauf des Ausschlusses wirksam. Dass im Kündigungsschreiben keine konkrete Frist für die ordentliche Kündigung genannt wurde, war unschädlich. Eine Kündigung wirkt immer zum nächstmöglichen Termin.
    • Ergebnis: Das Gericht berechnete, dass das Mietverhältnis wirksam zum 30. Juni 2024 endete.

Der Clou: Warum trotzdem keine Räumungspflicht für die Firma besteht

Obwohl das Hauptmietverhältnis beendet war, verurteilte das Landgericht die Firma nicht zur Räumung und Herausgabe der Wohnung. Der Grund liegt im Schutz des Endmieters durch § 565 BGB.

  • Was besagt § 565 BGB? Diese Vorschrift regelt den sogenannten „mittelbaren Mieterschutz“. Wenn ein Mieter (hier die Firma) Wohnraum gewerblich anmietet, um ihn vereinbarungsgemäß an einen Dritten (hier die Mitarbeiterin) zu Wohnzwecken weiterzuvermieten, dann passiert bei Beendigung des Hauptmietvertrages Folgendes: Der ursprüngliche Vermieter (hier der Zwangsverwalter) tritt automatisch in den Mietvertrag zwischen dem Zwischenmieter (Firma) und dem Endmieter (Mitarbeiterin) ein.
  • Die Folge im konkreten Fall: Mit der Beendigung des Hauptvertrages am 30.06.2024 wurde der Zwangsverwalter automatisch zum neuen Vermieter der Mitarbeiterin Frau X. Sie hat nun einen direkten Mietvertrag mit ihm und ist daher weiterhin zum Besitz der Wohnung berechtigt.
  • Unmöglichkeit der Räumung für die Firma: Da die Mitarbeiterin nun rechtmäßig (direkt gegenüber dem Zwangsverwalter) im Besitz der Wohnung ist, kann die Firma die Wohnung gar nicht mehr an den Zwangsverwalter herausgeben. Es ist ihr rechtlich unmöglich (§ 275 Abs. 1 BGB), die Räumung durchzuführen, weil sie selbst keinen Einfluss mehr auf den Besitz der Mitarbeiterin hat. Ob die Mitarbeiterin tatsächlich dort wohnt oder gemeldet ist, spielt für die Existenz ihres (nun direkten) Mietvertrages keine Rolle.

Das Ergebnis des Urteils

  • Der Zwangsverwalter bekam Recht mit seinem Hilfsantrag: Es wurde gerichtlich festgestellt, dass der Hauptmietvertrag mit der Firma zum 30.06.2024 beendet ist. Das schafft Klarheit über den Status dieses Vertrages.
  • Der Zwangsverwalter verlor aber (erneut) mit seinem Hauptantrag: Die Firma wurde nicht zur Räumung verurteilt, da ihr dies aufgrund des Eintritts des Zwangsverwalters in den Untermietvertrag unmöglich ist.
  • Kosten: Die Kosten der ersten Instanz wurden geteilt. Die Kosten der Berufung musste der Zwangsverwalter komplett tragen, da er mit seinem Hauptziel (Räumung) erneut scheiterte.

Was lernen wir daraus?

Dieses Urteil verdeutlicht die starke Schutzwirkung des § 565 BGB für Endmieter in Zwischenmietverhältnissen. Wenn eine Firma Wohnungen anmietet, um sie ihren Mitarbeitern zur Verfügung zu stellen, tritt der Hauptvermieter bei Kündigung des Hauptvertrages direkt in das Mietverhältnis mit dem Mitarbeiter ein. Der Hauptvermieter kann dann nicht einfach den Zwischenmieter (die Firma) auf Räumung verklagen, sondern muss das Mietverhältnis mit dem Endmieter (Mitarbeiter) unter Beachtung der wohnraummietrechtlichen Schutzvorschriften separat kündigen, wenn er die Wohnung zurückhaben möchte. Eine wichtige Regelung, die sowohl Vermieter als auch gewerbliche Zwischenmieter kennen sollten!

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