Gesundheits-Härtegründe im Mietrecht

Für Vermieter, die ein Mietverhältnis kündigen, stellt der sogenannte Härtefalleinwand des Mieters nach § 574 BGB (Sozialklausel) oft eine erhebliche Hürde dar. Insbesondere wenn Mieter schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigungen geltend machen, sind die Anforderungen an die gerichtliche Prüfung hoch. Ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH, Az. VIII ZR 270/22) bringt nun wichtige Klarstellungen, wie solche Einwände zu substantiieren sind und welche Art von Nachweisen Gerichte berücksichtigen müssen.

Der Mietrecht-Fall im Überblick

Ein Vermieter hatte wegen Eigenbedarfs gekündigt. Der Mieter widersprach und berief sich auf eine schwere psychische Erkrankung (manische Depression mit Suizidgedanken). Er legte dazu Stellungnahmen seines behandelnden Psychoanalytikers vor, der auf Grundlage des Heilpraktikergesetzes praktizierte. Die Vorinstanzen sahen den Härtefall als nicht ausreichend nachgewiesen an, unter anderem, weil kein fachärztliches Attest vorlag. Der BGH hob diese Entscheidung auf und verwies den Fall zur erneuten Prüfung zurück.

Die Kernpunkte der BGH-Entscheidung für Vermieter

  1. Substantiierung durch qualifizierte Behandler möglich:
    • Der BGH stellt klar, dass die Vorlage eines fachärztlichen Attests zwar ein gängiger und ausreichender Weg ist, um einen gesundheitlichen Härtefall substantiiert darzulegen, aber nicht der einzig mögliche.
    • Eine ausführliche, nachvollziehbare Stellungnahme eines anderen, für das spezifische Krankheitsbild medizinisch qualifizierten Behandlers kann ebenfalls genügen. Dies kann auch ein Psychotherapeut sein, der nach dem Heilpraktikergesetz tätig ist, sofern er qualifiziert erscheint.
    • Implikation für Vermieter: Gerichte dürfen einen Härtefalleinwand nicht allein deshalb zurückweisen, weil kein Facharzt die Bescheinigung ausgestellt hat. Sie müssen den Inhalt und die Qualifikation des Ausstellers prüfen.
  2. Hohe gerichtliche Prüfungspflicht bei Gesundheitsgefahren:
    • Wenn ein Mieter plausible und substantiierte Angaben zu schwerwiegenden Gesundheitsgefahren macht (insbesondere bei Gefahr für Leib und Leben, wie Suizidrisiko), sind die Gerichte zu einer besonders sorgfältigen Prüfung verpflichtet. Dies ergibt sich auch aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG).
    • In der Praxis bedeutet dies oft, dass das Gericht bei substantiiertem Vortrag – auch basierend auf der Stellungnahme eines qualifizierten Nicht-Facharztes – ein unabhängiges Sachverständigengutachten einholen wird, um Art, Umfang, Schweregrad und Wahrscheinlichkeit der befürchteten Gesundheitsfolgen eines Umzugs zu klären.
    • Implikation für Vermieter: Die Notwendigkeit eines Gutachtens kann das Räumungsverfahren erheblich verlängern und die Prozesskosten erhöhen.
  3. Umgang mit nachträglichem Vortrag des Mieters:
    • Der BGH kritisierte auch, dass das Berufungsgericht eine spätere, detailliertere Stellungnahme des Mieters vorschnell als verspätet zurückgewiesen hatte. Die rechtlichen Hürden für die Zurückweisung von potenziell relevantem Vortrag als verspätet (§§ 530, 296 Abs. 1 ZPO) sind hoch und müssen vom Gericht geprüft und festgestellt werden.
    • Implikation für Vermieter: Mieter können unter Umständen auch im späteren Verlauf des Verfahrens ihren Vortrag zu gesundheitlichen Härten noch ergänzen oder präzisieren.

Fazit und Empfehlungen für Vermieter

Das BGH-Urteil VIII ZR 270/22 präzisiert die Anforderungen an den Nachweis gesundheitlicher Härtegründe im Rahmen von § 574 BGB. Es unterstreicht, dass die Gerichte den Schutz der Gesundheit und des Lebens sehr ernst nehmen und nicht an formalen Kriterien wie dem Titel des Attestausstellers scheitern lassen dürfen.

Für Vermieter bedeutet dies:

  • Auch wenn Ihre Kündigung wirksam ist, kann ein substantiiert dargelegter gesundheitlicher Härtefall die Räumung verhindern oder verzögern.
  • Rechnen Sie bei entsprechenden Einwänden des Mieters damit, dass Gerichte auch qualifizierte Stellungnahmen von Nicht-Fachärzten ernst nehmen und dies zu weiteren Ermittlungen (insbesondere Sachverständigengutachten) führen kann.
  • Planen Sie bei der Durchsetzung Ihrer Kündigung potenzielle Verzögerungen und Kosten ein, die durch solche Härtefalleinwände und die notwendige gerichtliche Aufklärung entstehen können.
  • Eine frühzeitige anwaltliche Beratung ist empfehlenswert, um die spezifische Situation zu bewerten und die strategisch richtigen Schritte im Räumungsverfahren einzuleiten.

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