Wahlschlacht und Rechtsstaatlichkeit: Warum Polens Präsidentschaftswahl mehr als nur ein Symbol ist – im Vergleich zu Deutschland

Die jüngsten politischen Auseinandersetzungen in Polen um die Justizreformen und die Rolle des Verfassungsgerichts zeigen deutlich: In Warschau hat die Präsidentschaft eine andere Bedeutung als in Berlin. Während das Amt des Bundespräsidenten in Deutschland eher repräsentative Funktionen hat, ist das polnische Staatsoberhaupt ein Akteur mit erheblichen politischen Befugnissen, der das Kräfteverhältnis im Land maßgeblich beeinflussen kann. Das hat weitreichende rechtliche Konsequenzen.

Das Präsidentenamt: Ein Machtzentrum in Polen, ein Würdenträger in Deutschland

Der größte und unmittelbarste Unterschied liegt in der Ausgestaltung des Amtes des Staatsoberhaupts. Die jeweiligen Verfassungen weisen dem Präsidenten unterschiedliche Rollen zu, die direkte Auswirkungen auf die politische Landschaft und die Rechtsstaatlichkeit haben.

Die Verfassung der Republik Polen von 1997 verleiht dem Präsidenten weitreichende Befugnisse. Er wird direkt vom Volk gewählt (Art. 127 Verf. Pol.) und fungiert als Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Vor allem aber hat er erhebliche legislative Kompetenzen: Der Präsident kann Gesetzesentwürfe initiieren (Art. 118 Verf. Pol.) und, was entscheidender ist, Gesetze mit seinem Veto blockieren (Art. 122 Abs. 5 Verf. Pol.). Ein solches Veto kann der Sejm (das Unterhaus des Parlaments) nur mit einer Drei-Fünftel-Mehrheit überstimmen. Dies gibt dem Präsidenten eine starke Position, um die Gesetzgebung zu beeinflussen oder sogar zu blockieren, besonders wenn seine Partei nicht die Mehrheit im Parlament stellt. Darüber hinaus ernennt der Präsident Richter, einschließlich der Richter des Verfassungsgerichts, was ihm direkten Einfluss auf die Justiz ermöglicht (Art. 144 Abs. 3 Nr. 18 Verf. Pol.). Die jüngsten Auseinandersetzungen zeigen, wie ein Präsident mit abweichender politischer Agenda die Reformbemühungen einer Regierung entscheidend bremsen kann, insbesondere im Hinblick auf Justizreformen, die seine Amtszeit betreffen.

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland von 1949 konzipiert den Bundespräsidenten bewusst als ein Amt mit überwiegend repräsentativen und integrierenden Funktionen. Gemäß Artikel 59 Abs. 1 GG vertritt der Bundespräsident die Bundesrepublik völkerrechtlich. Seine Hauptaufgaben umfassen die Ernennung und Entlassung des Bundeskanzlers und der Bundesminister (Art. 63, 64 GG), die Ausfertigung von Gesetzen (Art. 82 GG) und die Ernennung von Richtern (Art. 60 Abs. 1 GG). Das Recht, Gesetze abzulehnen, ist auf eine rein formelle Prüfung der Verfassungsmäßigkeit beschränkt und nicht als politisches Veto im Sinne Polens ausgestaltet. Er kann die Ausfertigung nur verweigern, wenn das Gesetz offenkundig verfassungswidrig ist. Das politische Gewicht des deutschen Präsidenten resultiert eher aus seiner moralischen Autorität und seiner Fähigkeit, Diskurse anzustoßen, als aus direkten politischen Machtbefugnissen.

Auswirkungen auf die Justiz: Ernennungen und Reformblockaden

Der Einfluss des Präsidenten auf die Justiz ist ein weiterer entscheidender Unterschied, der besonders in Polen die Schlagzeilen dominiert.

Die Präsidentschaftswahl in Polen ist direkt entscheidend für die Zusammensetzung der Gerichte, insbesondere des Verfassungsgerichts (Trybunał Konstytucyjny) und des Landesjustizrates (Krajowa Rada Sądownictwa – KRS). Da der Präsident Richter ernennt, kann ein Staatsoberhaupt, das einer bestimmten politischen Richtung angehört, die Besetzung wichtiger richterlicher Positionen maßgeblich beeinflussen. Im Kontext der Justizreformen unter der vorherigen PiS-Regierung und den aktuellen Bemühungen der Tusk-Regierung zeigt sich, dass ein Präsident mit einer der Regierung entgegengesetzten Haltung Gesetze, die die Justiz umgestalten sollen, mit seinem Veto belegen kann. Dies führt zu Blockaden und einem fortgesetzten Konflikt, der die Stabilität des Rechtssystems und die Rechtsstaatlichkeit gefährdet. Die Diskussion um die Legitimität einzelner Richterernennungen und die daraus resultierenden Spannungen mit der EU sind direkte Folgen dieser präsidentiellen Macht.

In Deutschland hingegen ist die Ernennung von Richtern weitgehend entpolitisiert und institutionalisiert. Richter des Bundesverfassungsgerichts werden beispielsweise je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt (§ 5 Bundesverfassungsgerichtsgesetz – BVerfGG). Die Ernennung durch den Bundespräsidenten ist hier ein formeller Akt der Ausfertigung, nicht aber eine Entscheidung über die Eignung oder politische Ausrichtung. Die richterliche Unabhängigkeit ist durch Artikel 97 GG (sachliche und persönliche Unabhängigkeit) und Artikel 92 GG (richterliche Gewalt den Richtern anvertraut) fest verankert. Eine direkte politische Einflussnahme des Bundespräsidenten auf die Justiz oder Justizreformen, wie sie in Polen zu beobachten ist, ist im deutschen System verfassungsrechtlich nicht vorgesehen und undenkbar.

Historische Lehren für Deutschland: Vom Reichspräsidenten zum Bundespräsidenten

Die bewusst begrenzte Rolle des Bundespräsidenten in Deutschland ist eine direkte Lehre aus den Erfahrungen der Weimarer Republik, in der ein starker Reichspräsident eine Rolle beim Scheitern der Demokratie spielte.

Die Weimarer Republik und der Reichspräsident: Die Weimarer Verfassung von 1919 sah einen direkt gewählten Reichspräsidenten vor, der mit erheblichen Machtbefugnissen ausgestattet war. Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung ermöglichte ihm die Ausfertigung von Notverordnungen mit Gesetzeskraft, ohne Zustimmung des Parlaments, was er in den Endjahren der Republik exzessiv nutzte. Dies untergrub die parlamentarische Demokratie massiv und schuf ein präsidiales Regierungssystem. Historisch gesehen wurde der Reichspräsident Paul von Hindenburg oft als eine Figur angesehen, die den Aufstieg Hitlers nicht verhinderte, sondern durch seine Entscheidungen begünstigte.

Das Grundgesetz als Lehre: Die Väter und Mütter des Grundgesetzes zogen aus diesen Erfahrungen die Lehre, dass eine starke und politisch unabhängige Exekutive, die der parlamentarischen Kontrolle unterliegt, einer präsidentiellen Dominanz vorzuziehen ist. Der Bundespräsident sollte gerade nicht zum „Ersatzkaiser“ oder zum „Notstands-Präsidenten“ werden. Die geringen politischen Befugnisse des Bundespräsidenten sind daher keine Schwäche, sondern eine bewusste Stärke des deutschen Systems, das auf der parlamentarischen Demokratie und einer stabilen Rechtsstaatlichkeit aufbaut, die durch die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Gerichte geschützt ist.

Politische Stabilität vs. Blockademöglichkeiten: Eine Frage des Verfassungsdesigns

Die unterschiedliche Rolle der Staatsoberhäupter spiegelt sich direkt in der politischen Stabilität und den Möglichkeiten der Regierungsführung wider.

Die direkte Wahl des Präsidenten in Polen und seine ausgedehnten Kompetenzen führen zu einer Situation, in der ein politischer Gegensatz zwischen Präsident und Regierung zu einer effektiven Blockade führen kann. Wenn der Präsident einer anderen Partei angehört als die regierende Koalition im Sejm, kann dies wichtige Gesetzesvorhaben verzögern oder sogar verhindern, wie wir es aktuell im Bereich der Justizreformen sehen. Dies kann zu politischer Instabilität und einem erschwerten Regieren führen, da jede wichtige Entscheidung einen Machtkampf zwischen Parlament und Präsident nach sich ziehen kann.

Die parlamentarische Dominanz in Deutschland und die begrenzten Befugnisse des Bundespräsidenten gewährleisten eine höhere Stabilität der Regierungsführung. Die Regierung, die vom Parlament gewählt wird, kann ihre legislative Agenda im Wesentlichen umsetzen, solange sie über eine parlamentarische Mehrheit verfügt. Der Bundespräsident fungiert als integrierende Figur und „Notar der Republik“, der das Gesetzgebungsverfahren formal abschließt, aber nicht inhaltlich beeinflusst. Dies führt zu einem berechenbareren politischen Prozess und einer klaren Zurechenbarkeit der politischen Verantwortung beim Parlament und der Regierung.

Fazit

Die polnische Präsidentschaftswahl ist somit weit mehr als ein symbolischer Akt – sie ist eine richtungsweisende Entscheidung, die die Dynamik zwischen Regierung und Justiz maßgeblich beeinflusst. Im Gegensatz dazu zeigt das deutsche System, wie eine bewusste Begrenzung der präsidentiellen Macht die Stabilität der parlamentarischen Demokratie und die Unabhängigkeit der Rechtsstaatlichkeit fördern kann.