Räumungsschutz für Schwangere: Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit wiegt schwer

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem aktuellen Beschluss (2 BvQ 32/25) die Zwangsvollstreckung einer Räumung einstweilen ausgesetzt. Im Fokus stand dabei die besondere Situation einer schwangeren Frau, die kurz vor einem geplanten Kaiserschnitt stand. Das Gericht bekräftigte, dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) bei Zwangsvollstreckungsmaßnahmen umfassend zu berücksichtigen ist und Gerichte eine sorgfältige Abwägung vornehmen müssen, insbesondere wenn Gesundheitsgefahren drohen oder eine menschenwürdige Unterbringung nicht gewährleistet ist.

Gesundheitsgefahren bei Zwangsräumung: Eine Frage der Sorgfalt

Das Bundesverfassungsgericht betont in seinem Beschluss, dass die Vollstreckungsgerichte die erforderlichen Vorkehrungen treffen müssen, um Verfassungsverletzungen durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen auszuschließen. Drohen bei einer Zwangsräumung schwerwiegende Gesundheitsgefahren, sind die Tatsacheninstanzen – bei fehlender eigener Sachkunde – dazu verpflichtet, mittels sachverständiger Hilfe ein genaues Bild von den möglichen gesundheitlichen Folgen zu erhalten. Dabei geht es nicht nur um die akute Gefahr eines Suizids, sondern auch um andere konkrete Gefahren für Leben und Gesundheit, die eine unzumutbare Härte im Sinne des § 765a ZPO darstellen können. Relevant sind dabei nicht nur die Gefahren während des Räumungsvorgangs, sondern auch danach.

Die Rolle des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG: Schutzpflicht der Gerichte

Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (körperliche Unversehrtheit) verpflichtet die Vollstreckungsgerichte dazu, bei der Prüfung des § 765a ZPO auch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und die dem Schuldner zustehenden Grundrechte zu berücksichtigen. Dies kann in Ausnahmefällen dazu führen, dass eine Vollstreckung für längere Zeit oder sogar auf unbestimmte Zeit eingestellt werden muss. Im vorliegenden Fall sah das Bundesverfassungsgericht Anhaltspunkte dafür, dass das Amtsgericht die besondere Situation der schwangeren Antragstellerin nicht ausreichend gewürdigt hatte, insbesondere im Hinblick auf den bevorstehenden Kaiserschnitt und die mögliche Unterbringung in einer Notunterkunft.

Abwägung der Interessen: Wenn das Gericht die falschen Schlüsse zieht

Das Gericht bemängelte, dass das Amtsgericht die gebotene Abwägung der beiderseitigen Interessen von Gläubiger und Schuldner unterlassen hatte. Insbesondere die Annahme, die Schwangerschaft sei nicht ausreichend nachgewiesen oder gar „fahrlässig“ angesichts der finanziellen Situation der Antragsteller, wurde als verfassungsrechtlich bedenklich eingestuft. Auch die vorrangige Behandlung des titulierten Räumungsanspruchs des Gläubigers ohne ausreichende Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Positionen der schwangeren Frau und ihres ungeborenen Kindes wurde kritisiert.

Verantwortung der staatlichen Stellen: Mehr als nur Verweis auf die Kommune

Ein wichtiger Aspekt des Beschlusses ist die Klarstellung der Verantwortung der staatlichen Stellen. Zwar muss die Vollstreckung nicht sofort eingestellt werden, wenn eine Gefahr durch geeignete Maßnahmen abgewendet werden kann, doch setzt dies voraus, dass die Gerichte die Geeignetheit dieser Maßnahmen sorgfältig prüfen und deren Vornahme sicherstellen. Es ist die Aufgabe der zuständigen staatlichen Stellen, eine menschenwürdige Unterbringung im Sinne von Art. 1 Abs. 1 GG sicherzustellen. Der bloße Verweis auf die Zuständigkeit der Ordnungsbehörde entbindet das Vollstreckungsgericht nicht von seiner Pflicht, die konkrete Unterkunft auf ihre Eignung für die Bedürfnisse der Betroffenen zu prüfen, insbesondere wenn es um die Versorgung eines Neugeborenen geht.

Folgenabwägung: Schutz von Leib und Leben geht vor

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts basierte letztlich auf einer umfassenden Folgenabwägung. Das Gericht stellte fest, dass die Durchführung der Zwangsräumung kurz vor einem Kaiserschnitt nicht rückgängig zu machende Folgen für Leib und Leben der Antragstellerin und ihres ungeborenen Kindes haben könnte. Demgegenüber würde eine Verzögerung der Räumung lediglich um einige Monate den Gläubiger weniger schwer treffen. Dieser Beschluss unterstreicht die hohe Bedeutung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit und die Notwendigkeit einer sorgfältigen und grundrechtsorientierten Prüfung in Räumungssachen, insbesondere bei vulnerablen Personen.