Zwangsweise Entsperrung des Mobiltelefons rechtmäßig

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Ermittler das Handy eines Beschuldigten zwangsweise per Fingerabdruck entsperren dürfen. Diese Maßnahme verstößt laut Gericht nicht gegen das Verbot der Selbstbelastung, anders als die erzwungene Preisgabe einer PIN. Für Beschuldigte bedeutet dies eine Duldungspflicht bei der Nutzung biometrischer Daten, während das Wissen um Passwörter geschützt bleibt.

Ihr Handy, Ihr Tresor? Das sagt der BGH zur zwangsweisen Entsperrung per Fingerabdruck

Der Bundesgerichtshof hat mit einem aktuellen Urteil (März 2025) entschieden, dass Ermittler das Handy eines Beschuldigten zwangsweise per Fingerauflegen entsperren dürfen. Diese Maßnahme ist laut BGH unter bestimmten Voraussetzungen, wie einem richterlichen Durchsuchungsbeschluss und Wahrung der Verhältnismäßigkeit, von § 81b StPO gedeckt und verletzt nicht das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen. Für Betroffene unterstreicht dies die Notwendigkeit, ihre Rechte genau zu kennen und bei Zwangsmaßnahmen anwaltlichen Rat einzuholen.

Worum ging es in dem Fall vor dem BGH?

Im zugrundeliegenden Fall ermittelten die Behörden gegen einen Angeklagten unter anderem wegen des Verdachts der Herstellung kinderpornographischer Schriften und des Verstoßes gegen ein Berufsverbot. Im Rahmen einer richterlich angeordneten Wohnungsdurchsuchung, die auch dem Auffinden von Mobiltelefonen dienen sollte, wurden zwei Smartphones sichergestellt. Da der Angeklagte nicht bereit war, diese freiwillig zu entsperren, ordnete ein Polizeibeamter an, den rechten Zeigefinger des Mannes durch unmittelbaren Zwang auf den Fingerabdrucksensor der Geräte zu legen. Dies geschah, die Handys wurden entsperrt, und die Auswertung förderte kinderpornographisches Material zutage, das zur Verurteilung führte. Die Verteidigung rügte dieses Vorgehen als rechtswidrig und als Verstoß gegen das Selbstbelastungsverbot.

Die Entscheidung des BGH: Grünes Licht für zwangsweise Entsperrung per Fingerabdruck – unter Bedingungen

Der BGH wies die Revision des Angeklagten in diesem Punkt zurück und erklärte die zwangsweise Entsperrung der Mobiltelefone mittels Fingerabdruck unter den gegebenen Umständen für rechtmäßig. Die Kernpunkte der Entscheidung sind:

  1. Gesetzliche Grundlage § 81b Abs. 1 StPO: Der BGH stellt klar, dass der Versuch der Ermittlungsbehörden, Zugang zu den Daten auf einem Mobiltelefon durch zwangsweises Auflegen des Fingers auf den Fingerabdrucksensor zu erlangen, von § 81b Abs. 1 StPO (Aufnahme von Fingerabdrücken und Vornahme ähnlicher Maßnahmen) in Verbindung mit §§ 94 ff. StPO (Beschlagnahme) als Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist. Dies gilt zumindest dann, wenn die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind.
  2. Voraussetzung: Richterlicher Durchsuchungsbeschluss: Eine entscheidende Bedingung ist eine zuvor nach §§ 102, 105 Abs. 1 StPO richterlich angeordnete Durchsuchung, die ausdrücklich auch das Auffinden von Mobiltelefonen zum Ziel hat. Der BGH betont, dass der Richter bereits bei Erlass dieses Beschlusses prüft, ob und welche Beweismittel auf Mobiltelefonen vermutet werden und ob der Zugriff verhältnismäßig ist. Es ist nicht erforderlich, dass der Durchsuchungsbeschluss die Maßnahme nach § 81b StPO explizit erwähnt.
  3. Verhältnismäßigkeit ist entscheidend: Trotz der gegebenen Eingriffsintensität muss der beabsichtigte Datenzugriff verhältnismäßig sein. Dies erfordert eine Abwägung zwischen dem staatlichen Interesse an der Strafverfolgung und den Grundrechten des Beschuldigten. Zu berücksichtigen sind die Schwere der Straftat, der Grad des Tatverdachts und die potentielle Beweisbedeutung der Daten. Im konkreten Fall, angesichts des Verdachts der Herstellung kinderpornographischer Schriften und des Verstoßes gegen ein Berufsverbot zum Schutz von Kindern, sah der BGH die Maßnahme als gerechtfertigt an.
  4. Kein Verstoß gegen das Selbstbelastungsverbot (nemo tenetur): Der BGH bekräftigt seine ständige Rechtsprechung, dass das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, lediglich vor der aktiven Mitwirkung an der eigenen Überführung schützt, nicht aber vor dem passiven Dulden von Ermittlungsmaßnahmen. Das Auflegen des Fingers sei eine solche Duldungspflicht.
  5. Konformität mit EU-Recht: Der BGH sieht das Vorgehen auch im Einklang mit der EU-Datenschutzrichtlinie für Polizei und Justiz (RL 2016/680/EU). Diese stehe dem einwilligungslosen Entsperren mittels Fingerabdruck nicht generell entgegen, sofern nationale Gesetze eine Grundlage bieten und die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird.
  6. Anerkennung der Eingriffsintensität: Das Gericht verkennt nicht, dass der Zugriff auf Mobiltelefone einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Privatsphäre darstellt. Dennoch sei dies nicht generell unzulässig, sondern müsse durch die Beweiserheblichkeit im Einzelfall und das Vertretbare begrenzt werden, um überschießende Informationen zu vermeiden.

Was bedeutet dieses BGH-Urteil für Bürger?

  1. Zwangsweises Entsperren ist möglich: Die Polizei kann unter den vom BGH genannten strengen Voraussetzungen (insbesondere richterlicher Beschluss, Verhältnismäßigkeit) einen Beschuldigten zwingen, sein Mobiltelefon durch Auflegen des Fingers auf den Sensor zu entsperren.
  2. Fokus auf Fingerabdruck: Diese Entscheidung bezieht sich konkret auf die Nutzung biometrischer Merkmale (Fingerabdruck). Die Frage der erzwungenen Herausgabe einer PIN oder eines Passworts, die eine aktive Wissensmitteilung erfordert, bleibt aufgrund des nemo-tenetur-Grundsatzes anders zu bewerten.
  3. Richtervorbehalt als Schutzmechanismus: Ein zentraler Schutz ist der vorherige richterliche Durchsuchungsbeschluss. Dieser muss präzise sein und die Durchsuchung von Mobiltelefonen explizit als Ziel nennen.
  4. Verhältnismäßigkeit bleibt Einzelfallentscheidung: Ob die Maßnahme im konkreten Fall zulässig ist, hängt immer von einer sorgfältigen Abwägung ab.
  5. Rechte des Beschuldigten: Unabhängig davon haben Beschuldigte weiterhin das Recht zu schweigen und sich jederzeit an einen Rechtsanwalt zu wenden.

Fazit und unsere anwaltliche Empfehlung

Der Beschluss des BGH vom 13. März 2025 schafft deutliche Rechtsklarheit für eine in der Praxis häufig umstrittene Ermittlungsmaßnahme. Er bestätigt die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden, stärkt aber gleichzeitig die Notwendigkeit richterlicher Kontrolle und strikter Verhältnismäßigkeitsprüfungen. Die Entscheidung unterstreicht, dass der digitale Raum kein rechtsfreier Raum ist – weder für Straftäter noch für die Ermittlungsbehörden.

Sollten Sie oder Ihre Angehörigen von strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen wie der Durchsuchung oder der versuchten Entsperrung Ihres Mobiltelefons betroffen sein, ist es unerlässlich, umgehend anwaltlichen Rat einzuholen.